Ein Schweizer Maler der Moderne

Dame mit Reh, 1908, Aquarell auf Papier, 11 x 11 cm

Dame mit Reh, 1908

Die Miniatur „Dame mit Reh“ (1908, Aquarell auf Papier) von André Evard ist ein eindrucksvolles Beispiel für seine frühe Auseinandersetzung mit dem Jugendstil und dessen gestalterischen Prinzipien. In diesem kleinformatigen Werk zeigt sich Evards Gespür für ornamentale Flächenwirkung, symbolische Naturdarstellung und eine streng symmetrische Bildkomposition.
Zentral im Bild sitzt eine Frauengestalt in leuchtendem Rot, die – wie eine Ikone – mit ausgestreckten Armen in der Mittelachse des Bildes positioniert ist. Ihre Arme reichen zu beiden Seiten in eine ausgeglichene Komposition: Links ein Reh, rechts ein Vogel, ein Eichhörnchen sowie eine Blume – Elemente, die für Sanftmut, Naturverbundenheit und Harmonie stehen. Die Figur wirkt durch ihre ruhige Ausstrahlung wie eine Personifikation der Natur selbst.
Die Bildsymmetrie wird zusätzlich durch zwei Birkenstämme im Hintergrund betont, die wie Säulen hinter der Frau stehen und ihr eine fast sakrale, thronartige Präsenz verleihen. Auch die hügeligen Berglandschaften links und rechts wiederholen sich in Form und Farbverteilung, was der Szene eine meditative Balance verleiht.
Typisch für den Jugendstil ist die flächige, dekorative Behandlung der Natur: Der Boden ist ein lebendiger Teppich aus farbigen Blütenpunkten, die Bäume und Vögel fügen sich in rhythmische Muster, und auch das rote Gewand der Frau ist mit ornamentalen Blattformen verziert. Die Bildtiefe tritt dabei zugunsten der dekorativen Flächigkeit zurück – ein Prinzip, das an Vorbilder wie Ferdinand Hodler oder die Nabis erinnert.
„Dame mit Reh“ zeugt von Evards bemerkenswerter Fähigkeit, Symbolik, Naturbeobachtung und ornamentale Stilmittel in einem ausgewogenen Bildgefüge zu vereinen – ein früher Höhepunkt seines Schaffens, in dem sich bereits seine spätere stilistische Vielfalt ankündigt.